Bankenkrise: «Es wird zu viel moralisiert»

Von der Bank zum Altar: Martin Scheibli, Pfarradministrator in Liebfrauen-Zürich, arbeitete früher mehrere Jahre als Bankmanager, bevor er sich im Leben neu orientierte. Wie sieht er die Stimmung um die Bankenkrise? Ist die Empörung gerechtfertigt?

Martin Scheibli, Sie kennen die Bankenwelt aus Ihrer Berufserfahrung. Uns nimmt Ihre Meinung Wunder.
Im Grunde genommen ist der Zusammenbruch der Credit Suisse ein normaler, alltäglicher Vorgang in der Wirtschaftswelt: Ein Unternehmen wird in einer Weise geführt, dass es eines Tages nicht mehr überlebensfähig ist.

Martin Scheibli, Pfarreradministrator in Liebfrauen (Zürich-City)

Geht dies so nüchtern?
Das Tragische bei der Credit Suisse liegt darin, dass man sich seit vielen Jahren der Misswirtschaft bewusst war, dass es aber weder die Aktionäre noch die Unternehmensführung schafften, die Situation zu ändern. Das weist auf eine nicht funktionierende Corporate Governance hin, also auf einen fehlenden Ordnungsrahmen für die Leitung und Überwachung des Unternehmens. Auch die Aufsichtsbehörden geben hier keine gute Figur ab.

Die Öffentlichkeit sucht nach einem Sündenbock. Gibt es den?
Die Öffentlichkeit hat gerne einen Sündenbock, auf den man zeigen kann. Anstelle «wer ist schuld» soll man fragen, wer war an diesem Niedergang beteiligt? Diese Antwort ist einfach: Verantwortlich sind diejenigen Mitglieder des Verwaltungsrates und der Geschäftsleitung der letzten 25 Jahre, welche die vielen falschen Entscheide gefällt haben.

Dann liegt hier aber doch ein Versagen bei Akteuren?
Es zeigt sich, wie unser Fehlverhalten, bewusst oder aus Unfähigkeit, immer auch Auswirkungen auf den Nächsten hat. Dies muss uns beim Handeln und bei Fragen der Schuld bewusst sein. Das ist auch immer wieder zentral in unserem Schuldbekenntnis gegenüber Gott.

Aber Sie sind in diesem Fall gegen ein klassisches «Opfer-Täter»-Schema?
Ja. Denn niemand wird gezwungen, in einer bestimmten Bank zu arbeiten oder sein Geld dorthin zu bringen. Ich habe in verschiedensten Branchen gearbeitet, eine Bank unterscheidet sich ethisch nicht von anderen Industrien. In der Baubranche beispielsweise herrscht oftmals ein raues Geschäftsgebaren, wo längst nicht alles sauber läuft. In dieser Hinsicht stehen die Banken in der Regel professioneller und geordneter da, da sie staatlich stark reguliert sind. Der Unterschied ist, dass bei den Banken ein paar Nullen mehr vor dem Komma stehen – Zahlen, welche wir nicht mehr nachvollziehen können.

Sie sind heute Pfarradministrator und nicht mehr Bankmanager. Was wäre ein christlicher Umgang mit Geld auf Stufe der Banken?
Hier wird meiner Meinung nach zu viel moralisiert. Geld ist weder gut noch schlecht. Man kann aus christlicher Sicht mit gutem Gewissen bei einer Bank arbeiten. Der Mensch ist es, der unlauter handelt, der nach Macht und Reichtum strebt. Und hier helfen keine Gesetze, die immer irgendwie umgangen werden können. Hier hilft nur ein aus dem Glauben geformtes Gewissen. Es gibt eine Allmacht, die gerecht ist und uns irgendwann zur Rechenschaft zieht. Pointiert ausgedrückt: Der Glaube an einen Staat, von dem wir immer mehr erwarten und der unser Leben regeln soll, sollte dem Glauben nach Gott weichen.

    

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