Titelbild_Jahresspiegel2019KatholischStadtZuerich
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Caroline Giovine

«Meine persönliche Geschichte ist mir heute ein Segen.»

Vom Wirtschaftsstudium über Medjugorje nach München zum Theologie-studium und dann nach Zürich in die Pfarrei St. Katharina (Zürich-Affoltern). Das Leben von Caroline Giovine ist geprägt von starken Umbrüchen. Halb so wild, sagt sie, sie sei jetzt in der Kirche angekommen. Samt Ballett und Driving Ranges.

Theologie war Plan B. Mein Plan A war, in der Wirtschaft flott Geld zu verdienen. Meine Eltern waren erfolgreich in der Immobilienbranche tätig, es war ein kapitalistischer Haushalt erster Güte. Wir lebten gut. So lag es auf der Hand, dass ich nach dem Abitur das Euro Business College in Hamburg besuchte und internationale Beziehungen studierte. Mit 21 Jahren hatte ich bereits den Bachelor in der Tasche, aber auch das bohrende Gefühl in mir: Wirklich, das soll es nun sein? Ich fühlte eine furchtbare Unzufriedenheit.

Meine Eltern waren lutherisch-reformiert. Das religiöse Gerüst daheim bestand für mich aber aus einer Reihe von unbeantworteten, drängenden Fragen. Ich hungerte regelrecht nach einer religiösen Struktur. Auf einer Reise zum Wallfahrtsort Medjugorje fand ich die Spiritualität, nach der ich so lange gesucht hatte. Ich entdeckte den katholischen Glauben, ich hörte den Ruf Gottes. Ja, ich weiss, das klingt pathetisch. Aber mein Lebensweg drehte sich um 180 Grad. Wieder zu Hause, teilte ich meinen Eltern mit, dass ich den Weg in der Wirtschaft nicht mehr weiterverfolgen wolle, sondern Theologie studieren. Katholische Theologie, notabene. Meine Eltern waren vor den Kopf gestossen. Der Entscheid belastete lange unser Verhältnis, erst in den letzten Jahren haben sich meine Eltern daran gewöhnt. Von Hamburg zog ich fürs Studium nach München. Den Abschluss in Theologie machte ich zusammen mit dem Lehrerdiplom, eine Tätigkeit als Deutschlehrerin schien mir damals ebenfalls eine Option.

Ich kenne die These, dass ein Theologiestudium dem Glauben abträglich sein soll. Dass es «ausnüchtert». Bei mir war dies nicht der Fall, im Gegenteil: Mir hat es geholfen, theoretisch zu verstehen, was ich empfinde. Das Studium hat mich näher zu Gott gebracht.

Entfernt hat mich mein neuer Weg dagegen von meinem bisherigen sozialen Umfeld. Kein Wunder, mein Glaube hatte mich ja auch grundlegend verändert. Der bisherige Fokus auf Karriere und Geld, den ich mit Freunden und der Familie teilte, war weg. Es gab schmerzhafte Brüche, mit Freunden und auch jahrelang mit meinen Eltern.

Ja, diese Zeit war sehr schwierig. Ich hing im Nirgendwo: das Alte weg, das Neue noch nicht gefunden. Nein, besser: Den neuen Platz hatte ich gefunden, aber ich musste mich erst noch einleben. In meinem «neuen Leben» war ich von einem völlig anderen Menschenschlag umgeben. Nonnen, Priesteramtskandidaten, Professoren – eine junge Frau mit meiner Herkunft und Sozialisation fiel auf. Mein «BWL-Look», den ich ja immer noch trug, sprang ins Auge. Ich war keine graue Kirchenmaus. Ebenso war meine Biografie so grundlegend verschieden von der ihren: Ich kam von «aussen», von ausserhalb des Milieus. Viele Mitstudenten kannten dagegen nur die Kirchenbank, ihr Dorf mit ihrer Pfarrei und dann das Studium.

In diesem Gefühl des Alleinseins hat mir das Vorbild der Heiligen geholfen. Jeder Mensch ist auf der Suche, braucht Orientierung. Die Heiligen waren damals auch nicht Übermenschen, ihnen erging es wie mir. Ihr Leben hat mich gelehrt, nie das Vertrauen in Gott zu verlieren, auch wenn es hart und schwierig ist. Immer im Wissen: Man kann das durchstehen, es haben es andere schon vor mir getan. Gestützt hat mich auch das wachsende Gefühl, dass Gott mich führt und mir die Richtung weist. Nach einer Tätigkeit auf der Medienstelle des Erzbistums Hamburg führte er mich nach Zürich. Hier bin ich nun in St. Katharina. So, wie ich hoffe, noch viele Jahre. Doch, ich würde sagen: Ich bin angekommen. Noch stärker, seit ich Mutter zweier Kinder und Ehefrau bin.

In St. Katharina bin ich als Pastoralassistentin und Seelsorgerin tätig. Zürich-Affoltern ist keine beschauliche katholische Enklave mit einem typischen Publikum. Darum geht es auch gar nicht, wir wollen mit unserer Arbeit alle Menschen erreichen. Zunehmend sind das Menschen, die mit der katholischen Kirche, dem Glauben immer weniger oder noch gar nie in Kontakt gekommen sind. Meine persönliche Geschichte ist mir nun ein Segen. Mein Blick auf die Kirche ist immer auch der Blick von aussen.

Selbstverständlich ist mir bewusst, was für ein Bild die Menschen häufig von der katholischen Kirche haben: Missbrauch, Skandale, rückständig. Trotzdem finde ich es falsch, sich zu verbiegen. Ja, Kirche kann auch unangenehm sein, weil sie einen nicht ruhen lässt. Mit Verurteilen hat dies aber nichts zu tun.

Meine Rolle als Seelsorgerin sehe ich auch nicht als «Gutsagerin», die alles glattschleift und nach dem Mund redet. Wenn das Vertrauen, der Respekt und die Liebe zu den Menschen da sind, dann ist das nicht notwendig. Damit ist niemandem gedient. Gott in seiner Liebe mahnt auch, was wir nicht tun sollen, was uns nicht guttut. Glauben beinhaltet für mich auch Moral. Sein Leben bewusst zu leben, zu ordnen. Darin sehe ich nichts Schlechtes, selbst wenn einige beim Wort «Moral» reflexmässig zusammenzucken.

Ob ich streng bin? Gegenüber anderen glaube ich nicht. Mehr schon gegen mich selbst. Mit meinem Glauben hat dieser Wesenszug weniger zu tun. Eher habe ich dies «geerbt» von zu Hause. Ich habe damit leben gelernt, mein Glaube hat mich zu einem guten Stück auch davon befreit. Ich bin nachsichtiger mit mir geworden.

Katholischer als andere leben wir in unserer Familie nicht. Bei uns läuft das ab, was in allen Familien mit doppelter Berufstätigkeit abläuft. Wir sind gefordert, da gibt es viel unter einen Hut zu bringen. Kann sein, dass bei uns etwas mehr gebetet wird als anderswo. Aber sonst: der ganz normale Wahnsinn (lacht).

Ich kenne das klischierte katholische Frauenbild. Die Ehefrau daheim, als Hafen der Familie. Dagegen habe ich nichts. Wenn dies jemandem entspricht – warum nicht? Eine Zeit lang habe ich beruflich pausiert, bin dann aber zur Arbeit zurückgekehrt. Es macht mich glücklich, was auch den Kindern und der Familie zugutekommt.

Die katholische Kirche in der Stadt Zürich ist sehr vielfältig. Das ist gut so. Mehr Sorge bereitet mir, dass wir vielerorts zu sehr dem Zeitgeist nachrennen. Uns geht das Profil verloren! Andere Glaubensgemeinschaften treten da klarer auf. Es überrascht mich nicht, dass diese aktuell mehr Zulauf haben als wir. Wir verzetteln uns auch zu stark in weltlichen Machtkämpfen, in Geschlechterfragen und politischen Streitigkeiten – das ist die falsche Bühne.

Mehr Selbstbewusstsein ist erlaubt. Immerhin sind wir seit über 2000 Jahren authentisch geblieben. Wer kann dies sonst mit gutem Recht von sich sagen?

Ganz ohne Spuren ist mein «früheres Leben» nicht geblieben. Ich bin heute noch vom Ballett begeistert und liebe es, in den Ferien Golf zu spielen. Mein Handicap im Golf? Verrate ich nicht (schmunzelt). Am besten man spielt einmal eine Partie mit mir auf einem schönen Platz.

«Glauben beinhaltet für mich auch Moral.»

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